Gesundheit aus der Retorte

Von Hermann Klosius · · 2008/02

Biotechnologische Methoden zur Erzeugung von Medikamenten über genveränderte Tiere und Pflanzen eröffnen ungeahnte Möglichkeiten, auch für die Gesundheitsversorgung in Ländern des Südens. Doch die Risiken wiegen schwer.

An einem Freitagnachmittag in den frühen 1970er Jahren saßen einander im Churchill, einer Bar im Zentrum von San Francisco, zwei Männer gegenüber: Herb Boyer, Molekularbiologe an der Universität Kalifornien, und der Investor Bob Swanson. Swanson hatte von einem Durchbruch erfahren, der Boyer und seinen Kollegen gelungen war, nämlich eine Methode zu finden, um einzelne Gene aus dem Genom eines Säugetieres herauszuschneiden und in einen Mikroorganismus einzupflanzen. Damit wurde es möglich, z.B. Bakterien genetisch so zu manipulieren, dass sie Proteine produzierten.
Swanson überredete Boyer, die Firma Genentech zu gründen, das erste von bald darauf Hunderten von Biotechnologie-Unternehmen, die sich daran machten, die neuen Techniken so genannter rekombinanter DNA zu nutzen, um für die Behandlung menschlicher Krankheiten geeignete Proteine zu produzieren. Diese können wegen ihrer Größe und komplizierten Struktur nicht auf chemischem Weg synthetisiert, sondern nur von lebenden Organismen gebildet werden.
Im Jahr 1978 erregte Genentech mit der Nachricht weltweites Aufsehen, es sei gelungen, das Bakterium Escherichia coli genetisch für die Erzeugung menschlichen Insulins zu „programmieren“, an dem es DiabetikerInnen mangelt. Bis dahin waren sie auf Insulin aus der Leber von Schweinen oder Kühen angewiesen. Vier Jahre später war menschliches Insulin als erstes Produkt der „DNA-Revolution“ auf dem Markt. Dies war der Auftakt für Biotechnologie als dynamischer neuer Wirtschaftszweig.

Gene Pharming, Molecular Pharming oder auch nur Pharming (eine Wortneubildung aus „Farming“ und „Pharmaceutica“) nennt sich die Methode, genveränderte Nutztiere oder Pflanzen zur Gewinnung von Medikamenten einzusetzen. Da Bakterien komplexere menschliche Proteine wie Hämoglobin oder Faktor 8 nicht bilden können, wurden zunächst Kulturen von Säugetierzellen verwendet, um diese Stoffe zu fabrizieren, ehe man Ende der 1980er Jahre dazu überging, ganze Organismen als „Bioreaktoren“ heranzuziehen.
Als erstes aus der Milch eines genetisch manipulierten Säugetieres gewonnenes Medikament ist in Europa seit August 2006 ein von Ziegen produziertes menschliches Blutgerinnungsmittel auf dem Markt. An die zehn Produkte werden derzeit klinisch erprobt. So mancher der neuen Wirkstoffe hat bei diesen langwierigen Tests die in ihn gesetzten hohen Erwartungen freilich nicht erfüllt. Dazu gehören ein aus genmanipulierten Tieren gewonnenes Hämoglobin, ein von Genentech entwickeltes, aber wirkungsloses Protein, das die Infektion mit HIV verhindern sollte, und ein Antikörper der Firma Centocor gegen septischen Schock. Diese Misserfolge schickten die Aktienkurse biotechnologischer Firmen 1992 auf Talfahrt.
Trotz solcher Rückschläge stellt Biotechnologie inzwischen auch in Europa einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, der laut einem kürzlich veröffentlichten Bericht der EU-Kommission mit 1,69 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung jener der Landwirtschaft gleichkommt. Dabei gelten die therapeutischen oder diagnostischen biotechnologischen Anwendungen als die, die den meisten Erfolg versprechen, noch vor jenen in den Bereichen Landwirtschaft und Umwelt. „Auf den Finanzmärkten weiß man, dass ein Medikament gegen Krebs oder Aids einen sicheren Markt haben wird“, erklärt Steven Burrill, Spezialist für Biotechnologie beim Marktforschungsinstitut Ernst&Young.
Im letzten Jahrzehnt ist der Umsatz biopharmazeutischer Produkte in Europa von 1,75 auf 11,34 Mrd. Euro pro Jahr angestiegen – der globale Markt wird für 2008 auf 90 Mrd. US-Dollar veranschlagt. Der spanische Forscher Rodríguez schätzt die mit Pharming beschäftigten Unternehmen und Forschungseinrichtungen auf weltweit über 300, ein Drittel davon in Europa. Doch dem Pharming mit Tieren widmen sich nicht zuletzt aufgrund starker Kritik wegen unwägbarer Schäden für Mensch und Tier, der niedrigen Erfolgsrate und hoher Kosten derzeit nur etwa 15 Firmen, fünf davon in Europa. Der Schwerpunkt des Interesses hat sich in den letzten Jahren auf die Welt der Pflanzen verlagert.

Die Pflanzen werden durch den Einbau tierischer oder menschlicher Gene in die Lage versetzt, pharmazeutisch wirksame Proteine, Antikörper für Diagnose und Therapie, Impfstoffe oder Hormone zu produzieren, die extrahiert und in Medikamenten verwendet werden können. Dieses Biopharming ist bis zu hundertfach kostengünstiger als der Einsatz von Tieren. Verwendet werden Pflanzen wie Mais, Reis, Weizen, Gerste, Kartoffel, Tomate, Flachs und Tabak. Zahlreiche der auf diesem Weg gewinnbaren medizinischen Wirkstoffe sind bereits in der klinischen Prüfung, wenn auch bisher keines der Mittel auf dem Markt ist.
Europäisches Vorzeigeprojekt ist das Pharma-Planta-Konsortium, zu dem sich 39 Institutionen aus elf europäischen Ländern und die Republik Südafrika zusammengeschlossen haben. Mit zwölf Millionen Euro aus dem EU-Budget gefördert, sollen Pflanzen wie Mais, Tabak und Tomaten verwendet werden, um Wirkstoffe gegen Aids, Tollwut, Diabetes und Tuberkulose zu entwickeln, die ab 2009 getestet werden sollen. In einer Absichtserklärung vom Jänner 2005 betont das Konsortium, die Ergebnisse seiner Arbeit sollten „den Gesundheitsbedürfnissen der Armen in Entwicklungsländern“ dienen. Diese Selbstverpflichtung ist ebenso zu begrüßen wie die erklärte Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern, um in diesen „humanitäre Ziele“ zu erreichen und im Projekt erzielte Ergebnisse dazu frei verfügbar zu machen.
Die biotechnologische Forschung erfolgt heute – anders als zu Zeiten der Grünen Revolution – zum Großteil in multinationalen Konzernen, die ihre Ergebnisse durch Patente schützen und kommerziell verwerten. Mit wenigen Ausnahmen – von China über Indien bis Brasilien und Südafrika – können sich die Länder des Südens die Entwicklung eigener, lokal angepasster transgener Sorten nicht leisten. Im agrarischen Bereich ist China das einzige Entwicklungsland, in dem bereits unabhängig vom ausländischen Privatsektor entwickelte genveränderte Pflanzen angebaut werden. Obwohl aus China Versuche mit genmanipulierten Tieren bekannt sind, stecken die auf den Gesundheitsbereich bezogenen Anwendungen offenbar noch in den Kinderschuhen. In Indien wird noch heuer ein von der texanischen Firma Hemo Bio Tech produzierter Blutersatzstoff klinisch erprobt.

Um aus Pflanzen Medikamente zu gewinnen, sind zwar keine großen Flächen nötig – so sollen 16 Hektar ausreichen, um Chinas Jahresbedarf an einem Impfstoff gegen Hepatitis B zu decken -, doch lässt sich kostengünstig nur im Freien produzieren. Dabei kommen vor allem gut erforschte Pflanzen zum Einsatz, die auch als Nahrungs- oder Futtermittel dienen. Dies bringt die Gefahr einer Vermischung mit sich, mit unkalkulierbaren Folgen für die menschliche Gesundheit. Eine Studie des Umweltinstituts München sieht sogar in Pharmapflanzen „neben Terminator-Pflanzen (Pflanzen, die nur einmal keimen, Anm.) und genmanipulierten Bäumen die größte denkbare Gefahr, die von genmanipulierten Organismen zu erwarten ist“.
In den USA, wo seit 1991 an die 400 Feldversuche mit Pflanzen genehmigt wurden, die pharmazeutische oder industrielle Stoffe erzeugen, wurde 2002 ein folgenreicher Zwischenfall publik: Auf einem Feld in Nebraska hatten sich Sojabohnen mit Resten von im Jahr davor angebautem Genmais der texanischen Firma ProdiGene vermischt, der das Enzym Trypsin enthielt. ProdiGene musste die Kosten für die Vernichtung der Sojabohnen in der Höhe von 2,7 Mio. Dollar sowie 250.000 Dollar Strafe zahlen. In der darauf folgenden heftigen Debatte erhob sogar die Vereinigung der Nahrungsmittelproduzenten der USA die Forderung, Feldversuche künftig nur bei zu 100 Prozent gewährleisteter Sicherheit und nicht mit Nahrungsmittelpflanzen durchzuführen.

Die Sicherheitsbestimmungen wurden daraufhin zwar verschärft, doch erklärte sie die Vereinigung besorgter WissenschafterInnen (Union of Concerned Scientists – UCS) für unzureichend. Sie fordert, die Produktion von Pharmazeutika in Nahrungsmittelpflanzen im Freien zu verbieten. Sprecherin Jane Rissler: „Sie müssen erst beweisen, dass sie diese Pflanzen überall, in jedem Land, sicher anbauen können.“ Charles Arntzen von der staatlichen Universität Arizonas ist auch für strenge Regeln, aber solche, die in Industrie- und Entwicklungsländern umgesetzt werden können. „Wir wollen keine unüberwindbare Eintrittsbarriere.“ Er arbeitet an einem vor allem für arme Länder interessanten Impfstoff gegen das Durchfall erregende Norwalk-Virus.
Ein Verbot, wie es die UCS fordert, scheint unwahrscheinlich und wurde bisher in keinem Land der Welt verhängt. Doch die gesellschaftliche Debatte darüber, ob die möglichen Vorteile durch Pharmapflanzen schwerer wiegen als die damit verbundenen Risiken bzw. unter welchen Bedingungen ihre Nutzung erfolgen soll, ist eröffnet.

Hermann Klosius ist freier Mitarbeiter des Südwind Magazins und Solidaritätsaktivist in Wien.

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